Am gleichen Tag
geboren wie die SAW
Olga Momcilovic wohnt seit zwölf Jahren in der SAW-Siedlung Unteraffoltern. Sie kam am 28. Juni 1950 zur Welt: An dem Tag, an dem die SAW in Zürich per Gemeinderatsbeschluss gegründet wurde.
«Am 28. Juni feierte ich meinen 70. Geburtstag. Ich wusste nicht, dass die Stiftung Alterswohnungen genau gleich alt ist wie ich. Es freut mich natürlich, obwohl mir Geburtstage persönlich nicht so wichtig sind. Meinen Siebzigsten haben wir im Kreis der Familie gefeiert. Nicht nur wegen Corona, sondern weil ich sowieso kein grosses Fest organisiert hätte. Wozu auch? Wir waren bei meinem ältesten Sohn, denn für uns alle zusammen wäre es doch etwas eng geworden in meiner 2-Zimmerwohnung. Zwölf Jahre wohne ich jetzt schon in der SAW-Siedlung Unteraffoltern. Am Anfang gehörte ich hier zu den Jüngsten. Mein Mann war fast zehn Jahre älter als ich und gesundheitlich schon etwas angeschlagen, als wir die Wohnung bekamen. Er ist vor sieben Jahren gestorben.
Geboren bin ich in einem kleinen Dorf in der Nähe von Leskovac in Serbien. Meine Eltern waren einfache Bauern und ich glaubte, dass ich deshalb nie einen Mann finden würde. Damals war die Mitgift der Braut noch sehr wichtig und meine Eltern hatten nichts, was sie mir hätten mitgeben können. Ich arbeitete nach der Fachschule in der Textilbranche in Leskovac. In der Stadt lernte ich meinen späteren Mann kennen, der damals schon Arbeit in der Schweiz hatte. Ich bin ihm hierher gefolgt – ohne auch nur ein einziges Wort Deutsch zu verstehen. Das war 1970; ich war gerade zwanzig.
Ein Jahr später ist meine Mutter gestorben. Sie war erst 44 Jahre alt. Das hat mich sehr getroffen. Die Anfangszeit in der Schweiz war für mich nicht einfach. Gott sei Dank war mein Mann ein anständiger und lieber Mensch. Auch die Kirche hat mir im Laufe meines Lebens viel Trost geschenkt.
1972 kam mein erster Sohn auf die Welt, 1979 der zweite. Neben Kindern und Haushalt habe ich immer gearbeitet, manchmal auch an zwei Arbeitsstellen gleichzeitig: 25 Jahre lang trug ich am Morgen die Post aus und am Nachmittag verpackte ich Mahlzeiten für die Swissair. In den ersten Jahren hatte ich in der Munitionsfabrik gearbeitet, in der mein Mann schon eine Stelle hatte. Aber in der Krise Mitte der 1980er-Jahre wurden viele Ehefrauen entlassen, weil man davon ausging, dass sie als Zweitverdienerinnen weniger in Not geraten würden. Zwei Jahre war ich arbeitslos. In dieser Zeit ist mein Mann krank geworden. Er hatte einen Herzinfarkt mit 44, und als er 50 war, kam der Zucker dazu.
Ich hatte kein einfaches Leben, aber man kann es sich nicht aussuchen. Nur wenige Jahre, nachdem mein Mann gestorben war, bin ich selbst an Krebs erkrankt und musste operiert werden. Ich bin froh, habe ich meine Familie und die Kirche, sonst wäre ich sehr allein. In der alten Heimat kenne ich nur noch wenige Leute. Mein Bruder lebt noch dort. Ich besuche ihn gerne in den Ferien, aber ich bin jetzt seit 50 Jahren in der Schweiz, das ist der weitaus grösste Teil meines Lebens. Meine Kinder, meine Enkel, mein Leben – das alles ist hier, und das ist gut so.
Als das Coronavirus kam, war ich sehr vorsichtig und habe das Haus möglichst nicht verlassen. Ich gehöre ja nicht nur wegen meines Alters zur Risikogruppe, sondern auch wegen meiner Erkrankung. Meine Söhne haben für mich eingekauft und geschaut, dass es mir an nichts gefehlt hat. Einmal hat die SAW ein Konzert für die Siedlung organisiert. Eine junge Violinistin spielte für uns und wir konnten von den Laubengängen aus zuhören. Es war sehr schön, ich habe einige Fotos gemacht. Trotzdem werde ich froh sein, wenn die Pandemie einmal vorüber ist.»
Olga Momcilovic aus der SAW-Siedlung Unteraffoltern nahm als junge Frau all ihren Mut zusammen und folgte ihrem Mann in ein unbekanntes Land. Inzwischen ist ihr die Schweiz längst zur Heimat geworden.